Hansjörg von Känel spricht über das Mähen während der blauen Morgenstunde und über das Singen einer gut geschärften und geschickt geführten Sense:
Es gibt nichts Schöneres als am Morgen früh in der blauen Stunde, wenn der Tag die Nacht ablöst, wenn die Natur erwacht, und du am Bort oben mähen kannst, das ist etwas so Wunderschönes! Ich sehne mich manchmal richtig nach der Rückkehr des Frühlings, nach der Zeit, wenn ich wieder mähen kann.
Man hört schon, es kommt aber auch ein bisschen auf die Sense an; man kann schon hören, ob der Schnitt schön ist oder ob es rupft. Und ich muss das schon hören, hören und sehen, spüren… Wenn ich jetzt eine Sägisse einstelle und sie dann beim Mähschwung eher kratzt, so wie wenn eine böse Katze faucht … chchch … wenn es so klingt, ist die Sense vielleicht falsch eingestellt, aber es kann auch daran liegen, dass sie nicht gedengelt wurde, oder es kann sein, dass der Mäher schlecht wetzt, dann kratzt es: chchch.
Und wenn sie schön schneidet, dann sollte sie klingen wie der letzte Hauch, wie der letzte Atemzug: hhhhh, hhhhh. Ich sage immer: „Schlagt das Gras nicht tot, schneidet es in Ehren. Arbeitet mit Liebe, dann ist allen geholfen.“
Das „Singen“ einer Sägesse bedeutet, dass wenn du sie schön durch das Gras ziehst und die Sense gut geschliffen ist, und wenn das Sensenblatt von guter Qualität ist – dann fängt sie an zu singen. Also man hört nicht nur das Rauschen vom Schneiden des Grases, man hört so etwas wie ein Nachklingen. Aber dazu braucht es eine sehr gute Sense und einen sehr guten Menschen, sonst kann man das nicht hören. Vielleicht ist es ein bisschen übertrieben, vom „Singen“ einer Sense zu sprechen, aber… DOCH, es kommt auf das Gras an und darauf, wie man mäht. Dann fängt sie an zu singen. Wenn man eine trockene Böschung mäht mit nicht zu viel Gras und mit einem guten Blatt – dann kommt es. Und es kommt vielleicht noch ein bisschen stärker, wenn man mit den Gedanken an jenem Ort ist, von dem ich nicht sagen kann, wo er liegt – eine eigene Welt beim Mähen, beim freien Mähen, wenn man seiner Sense folgt, wenn die Sense den Rhythmus vorgibt. Es ist eigentlich die Sense, die bestimmt, wo’s langgeht. Wenn man einem guten Mäher zuschaut, bekommt man das Gefühl, die Sense mähe mit dem Mäher und nicht der Mäher mit der Sense.
Die Sense leitet einen an, und wenn man so richtig drin ist, dann läuft das von selber, und wenn du mir beim Mähen zuschaust, bekommst du das Gefühl, die Sense arbeitet ganz alleine, er hält sie nur ein bisschen. Das ist ein freies Mähen, das ist auch ein schönes Mähen. Und auch für den Mäher selbst ist das eine andere Welt. Er mäht… und ist frei. Aber um das zu erleben, braucht man ein bisschen Übung, braucht man eine gute Sense, braucht es eine gute Mähtechnik, braucht es aber auch ein schönes Schnittgut. So ist man wie in Trance und mäht und mäht, dann stösst man auf einen Maulwurfshügel, oder der Hühnervogel schreit, und du kommst wieder zu dir. Und dann ist es fast wie ein langsames Einschlafen, um wieder dorthin zu kommen…