|
|
Pressetext lang Das Pantheon Ikonen, heilsam zu sehen 1810 fand in der Mongolei eine grosse Einweihungs-Zeremonie statt. Der 4. Panchen Lama, seine Heiligkeit Tenpei Nyima (17811854), war aus Tibet zu Besuch gekommen. Tag für Tag versammelten sich Hunderte wenn nicht Tausende von Menschen, hohe Lamas, kaiserlich-chinesische Beamte und Klosterfunktionäre ebenso wie einfache Mönche und Laien, um von ihm die vier grossen Einweihungen entgegenzunehmen. Aus Anlass der Feierlichkeiten liess man einen Satz Holzdrucke anfertigen mit Darstellungen von Gottheiten dreier grosser Einweihungszyklen. Die 507 kleinen Bilder, je drei pro Blatt, bildeten zusammen ein Buch aus losen Blättern. Auf der Rückseite waren die Bilder mit mantras bedruckt, die dazu beitragen sollten, den lebendigen Geist der jeweils dargestellten Gottheit zu vergegenwärtigen: In der Mitte, mit Leserichtung nach unten, die fünf Silben OM AH HUM PHAT SVAHA, zur Beschwörung von Körper, Rede, Geist, Qualitäten und Aktivitäten eines Buddha und darum herum die mantras der jeweiligen Gottheit sowie ein allgemeines mantra. Der westlichen Wissenschaft sind diese Holzdrucke seit 1890 bekannt, als Eugen Pander in Peking zufällig einen Satz zu Gesicht bekam und einige Bilder daraus veröffentlichte. Dieser oder ein anderer Satz der Holzdrucke erreichte Berlin, wo die Bilder von Gelehrten wie Albert Grünwedel und Walter Eugene Clark gebraucht wurden. Letzterer führte sie in seinem 1937 veröffentlichten Index von vier Sammlungen tibetisch-buddhistischer Götterbilder auf. 1943 veröffentlichte Friedrich A. Peter einen Bericht über ein Set von Holzschnitten, die er in Ladakh von einem Lama erworben hatte. Einen vollständigen Satz der Holzdrucke bildete Lokesh Chandra in den Jahren 1963/64 ab. Diesen hatte, so behauptete er, sein Vater Raghu Vira 1956 von einem Mönch in Ulan Bator erworben. Auf diese Weise haben die Holzdrucke im Westen Bekanntheit erlangt. Der Name, unter dem die Holzdrucke am besten bekannt sind, ist leider völlig irreführend. Aus irgendeinem Grund glaubte Pander fälschlicherweise, die Drucke seien im Narthang Kloster in Tibet hergestellt worden. Bis Clarks Index erschien, waren sie bereits allgemein als die "Fünfhundert Götter von Narthang" bekannt! Das ist gleich doppelt falsch. Nicht bloss stammen sie aus der Mongolei und nicht aus Narthang, sondern auf den ungefähr 500 Bildern sind oft mehrere Gottheiten dargestellt und viele davon sind nicht Götter sondern Göttinnen. Es ist an der Zeit, den authentischen tibetischen Namen dieser Gruppe von Holzdrucken wieder einzuführen: "Ikonen, heilsam zu sehen". Diese Bilder oder Ikonen sind in der Ausstellung nicht wie üblich in Form von Holzdrucken zu sehen, sondern als einmalige und bezaubernd schöne Miniaturmalereien, die sich heute im Besitz des Zürcher Völkerkundemuseums befinden. Gestochen scharf und weitaus detaillierter als die Holzdrucke, haben die Malereien den grossen Vorteil farbig zu sein. Während tibetische Bücher normalerweise aus losen, aufeinanderliegenden Blättern bestehen, die durch zwei Holzdeckel zusammengehalten werden, zeichnet sich dieses Werk durch eine selten anzutreffende Fassung der Malereien sowie Verbindung der Seiten aus. Die einzelnen mit dünner Pappe und rotem Stoff umrahmten Seiten sind so miteinander verbunden, dass sie eine harmonikaartig zusammengefaltete Bilderreihe ergeben (Leporello). Diese kann nicht nur von einer Seite her betrachtet werden, sondern aufgrund der speziellen Montagetechnik (s. weiter unten) von vorne und hinten. Um die Benutzbarkeit der Ikonen zu erleichtern, wurden die 170 Folios (510 Ikonen : 3, da jede Seite 3 Ikonen aufweist) in vier Teilbände aufgeteilt, von denen jeder oben und unten einen stoffbespannten Deckel aufweist. Aus ausstellungstechnischen Gründen wurden die vier Teilbände zusätzlich halbiert. Das Resultat sind acht Bilderreihen, die sowohl von vorne wie auch hinten betrachtet werden können, und die wir in acht Einzelvitrinen zeigen. Zum Inhalt des Werks Die Texte, die die Ikonen, heilsam zu sehen illustrieren, sind bekannt und verfügbar. Bei diesen Texten handelt es sich um Sammlungen von sadhanas, d.h. Riten für den täglichen Umgang mit den einzelnen Gottheiten. Die Bilder dienen als Hilfsmittel für Gläubige, die in ihren Meditationen die Gottheiten visualisieren, d.h. erschaffen wollen. Einem Nichteingeweihten erscheinen die vier Bände als ein Werk. Im Grunde genommen setzt es sich aber aus drei Teilen zusammen: A. Ikonen1 bis 420: Ein Grossteil des Werks ist dem Rinjung Gyatsa (Juwelen-Mine, ungefähr hundert) mit seinen dreihundert Praktiken gewidmet, die Lama Taranatha (1575-1634) im frühen 17. Jahrhundert gesammelt hatte. Nachdem ihm diese Praktiken von vielen verschiedenen Lehrern offenbart worden waren, ordnete Taranatha sie zu einem Zyklus, in der Hoffnung, damit ihre Weiterführung zu sichern. Der 4. Panchen Rinpoche erweiterte Taranathas Werk in einem eigenen Text mit dem Titel Die klare Bedeutung der Juwelen-Mine. B. Ikonen 421 bis 456: Der Narthang Gyatsa (ungefähr hundert [sadhanas von] Narthang) ist ein Zyklus von dreiunddreissig sadhanas, zusammengestellt zwischen 1251 und 1288 von Chim Namka-tra, dem Abt des Klosters Narthang. Einige der sadhanas brachte Chim nach den mündlichen Anweisungen seiner Lehrer zu Papier, bei anderen handelt es sich um Übersetzungen indischer Texte. Die sadhanas sollen ursprünglich durch Atisha von Indien nach Tibet eingeführt worden sein (982-1054). Die Illustrationen der Ikonen, heilsam zu sehen folgen einer ganz anderen, viel späteren Ordnung, nämlich derjenigen der Narthang Gyatsa-Praktiken wie sie von Kyishö Zhapdrung Tulku Ngawang Tendzin Trinle überliefert worden sind. Dieser grosse Gelugpa-Lama lebte von 1639 bis 1682 und war ein Schüler des 5. Dalai Lama (1617-82) sowie des 1. Panchen Riponche (1570-1662). C. Ikonen 457 bis 507: Vajravali (Tib. rDor phren) ist die älteste Kompilation. Sie ist nach einer Trilogie von Texten des indischen Lehrers Abhayakaragupta ( 1125) benannt, worin die vollständigen Mandalas von mehreren prominenten Gottheiten beschrieben werden. Sechs Jahrhunderte nach ihrer Niederschrift wurden zwei von Abhayakaraguptas Texten in einer praxisgemässeren Form von einem mongolischen Lama, dem ersten Changkya Qutugtu (Hutuktu), Ngawang Lozang Chöden (1642-1714), neu zusammengestellt. Er fügte den zweiundvierzig Mandalas von Abhayakaragupta drei weitere hinzu. Diese insgesamt fünfundvierzig Mandalas, bzw. ihre zentralen Gottheiten, bilden die Grundlage des dritten Teils der Illustrationen in den Ikonen, heilsam zu sehen. Die letzten drei Ikonen (508 bis 510) sind ein Anhang. Herkunft Mehrere Anzeichen deuten darauf hin, dass das Werk - auch wenn es dem tibetischen Buddhismus zuzuordnen ist - in China oder in der Mongolei hergestellt worden ist. Darauf deutet einmal der chinesische Stoff, mit dem die je zwei Holzdeckel der vier Bände überzogen sind. Auch je ein kleiner roter Zettel auf jedem der vier Bände, chinesisch beschriftet mit 'Erster (Band)', 'Zweiter (Band)' usw., weist auf chinesische Provenienz hin. Chinesisch ist auch die Nummerierung der einzelnen Seiten (Folios) am linken unteren Rand. Ferner weist die Art der Einfassung der gemalten Seiten mit Karton und weinrotem Stoff, sowie die leporelloartige Montage auf chinesische oder mongolische, nicht jedoch auf tibetische, Machart hin. Trotz der chinesischen oder allenfalls mongolischen Herkunft des Werks steht fest, dass die Malereien vollständig in der Tradition des tibetischen Buddhismus gemalt worden sind. Eine unerwartete Entdeckung Wie aber sind die Miniaturmalereien entstanden, wie sind die Zeichnungen der Figuren auf das Papier übertragen worden? Freundlicherweise erklärte sich das Schweizerische Landesmuseum in Zürich bereit, eine genaue Untersuchung vorzunehmen. Da sich der rote Stoffrand am Folio mit den Nummern 241-243 leicht gelöst hatte, wurde dieses Folio für eine intensivere Analyse ausgelesen. Die relativ dicke Papierschicht auf der Rückseite der Malerei Nr. 241 wurde sorgfältig entfernt, und was dabei zum Vorschein kam, übertraf alle Erwartungen: Nach und nach erschienen Schriftzeichen, die sich als mantras oder dharanis herausstellten, angeordnet in einem Quadrat, das in etwa mit dem Quadrat zusammenfiel, das die auf der Vorderseite abgebildete Figur oder Figurengruppe umrahmt. Mit anderen Worten: Jede der 510 Darstellungen (Ikonen) enthält die dazugehörenden mantras. Diese sind jedoch nicht sichtbar, da sie bei der Montage der einzelnen Buchseiten durch Überkleben mit mehreren Papierschichten zugedeckt worden sind. Vorlage für die Zeichnungen Bis heute sind mehrere komplette und unvollständige Originaleditionen der Ikonen, heilsam zu sehen bekannt. Diese zeigen alle nur die Umrisszeichnungen der Gottheiten, die meisten in Form von Holzdrucken. Wenn man die Malereien des im Zürcher Völkerkundemuseum lagernden Werks mit den Darstellungen der Holzdrucke vergleicht, fallen zuerst einmal die zahllosen Übereinstimmungen auf. Doch gibt es bei einigen Bildern gewichtigere Unterschiede. Viele Details der Holzdrucke sind auf den Malereien nicht zu erkennen. Sind aufgrund dieser recht markanten Abweichungen die beiden Editionen doch nicht identisch? Um diese Frage beantworten zu können, wurde ein Folio (mit den Nummern 241-243) des Zürcher Werks mit einer starken Lampe von unten beleuchtet. Das Resultat war verblüffend: Dort wo in den Bildern der Edition des Museums grüne Wiesen zu sehen sind, schimmerten Linien durch, die sich als Zeichnungen von Blättern (Ikone 241) beziehungsweise von Bergen und Wasser (Ikonen 241-243) entpuppten. Mit anderen Worten: Die Holzdrucke und die Zeichnungen, die dem Zürcher Set zugrundeliegen, sind völlig identisch. Die Übereinstimmungen zwischen den Originaldrucken und der Museumsedition sind nur dadurch erklärbar, dass die hier zur Diskussion stehenden Editionen alle von ein- und demselben Druckstock stammen. Als Ausgangsmaterial für das vorliegende vierbändige Werk diente somit mit Sicherheit ein kompletter Satz von Folios, auf deren Vorderseite die Figuren, und auf deren Rückseite die dazugehörenden mantras gedruckt worden waren. Die Abweichungen in der gemalten Edition des Museums stellen sich als künstlerische Freiheiten des Malers heraus, der sich nicht immer an die Vorlage hielt, sondern den Malereien durch seinen individuellen Malstil eine persönliche Note gab. Bildträger und GrundierungAls Träger der Schriftzeichen auf der Rückseite als auch der Figuren auf der Vorderseite diente ein Papier, das aus sehr feinen Bastfasern (um 12 m Durchmesser) besteht. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wurden für die Herstellung des Papiers Bastfasern der Thymelaeaceae Familie (wahrscheinlich Daphne) verwendet. Vor dem Ausmalen wurde die Rückseite mit mehreren Papierschichten verstärkt, die aus Bastfasern bestehen, die gröber sind als diejenigen des Bildträgers. Dadurch wurde die Schrift (mantras) zugedeckt. Bei diesem Vorgang sog sich das Papier, das als Bildträger dient, mit Leim voll, weshalb auf der Vorderseite vor dem Auftragen der Farben keine zusätzliche Grundierung mehr aufgetragen werden musste. Würdigung der Malerei Der unzweifelhaft grösste Wert der vorliegenden Sammlung der Ikonen, heilsam zu sehen liegt in der Tatsache, dass es sich dabei um eine ausgemalte Version handelt. Neben den figurativen Elementen ist bekanntlich die Farbgebung für die Charakterisierung und Zuordnung einer Gottheit im tibetisch-buddhistischen Pantheon von entscheidender Bedeutung. Das vorliegende Werk stellt somit kunsthistorisch, aber auch religionswissenschaftlich, eine besondere Rarität dar. Einmal, weil es wie bereits erwähnt das einzige bekannte ausgemalte Exemplar der Ikonen, heilsam zu sehen ist. Im weiteren auch wegen seiner künstlerischen Qualität. Diese fällt ohne Zweifel bereits einem oberflächlichen Betrachter auf. Eine eingehende Analyse der Details aber zeigt erst auf, mit welcher Präzision die Edition des Völkerkundemuseums gemalt worden ist. Wir laden die AusstellungsbesucherInnen dazu ein, dies selbst zu entdecken! Farben Da Unklarheit herrscht über die tatsächliche Erscheinungsweise einer Gottheit, wenn diese nur aufgrund ihrer Umrisszeichnung und/oder einer schriftlichen Beschreibung bekannt ist, ist die vorliegende Sammlung mit 510 ausgemalten Figuren so besonders wertvoll: Dank ihr ist die tatsächliche Erscheinungsweise nicht nur einer Gottheit, sondern eines ganzen Pantheons von 510 Gottheiten und Heiligen verbindlich und unzweideutig festgehalten und bekannt. Zudem ist es zum ersten Mal möglich, dank dieses Kompendiums eine grosse Zahl tibetischer Malereien zu vergleichen, die eindeutig aus ein- und derselben Malwerkstatt stammen. Bisher wurden nur relativ wenige tibetische Malereien einer genaueren Farbanalyse unterzogen. Für die vorliegende Publikation wurden die Farben eines Folios vom Labor des Schweizerischen Landesmuseums in Zürich untersucht und zwar mikrochemisch in Verbindung mit mikroskopisch optischen Beobachtungen. Bei einigen Farben wurde auch die Röntgenbeugungsanalyse angewandt. Die Analyse der einzelnen Farben ist in der nachfolgenden Tabelle abgedruckt. The colors used in Icons 241243
Datierung Was für fast alle tibetischen Kunstwerke gilt, trifft auch auf das vorliegende Werk zu: Eine genaue Datierung ist beinahe unmöglich. Wir wissen zwar, dass die Druckstöcke, von denen die Vorlage für die vorliegende Edition stammt, kurz nach 1810 geschnitzt worden sind. Doch ist offen, ob diese gemalte Version auch aus jener Zeit stammt. Die Farben sind stark leuchtend was im Falle von tibetischen Rollbildern ein Hinweis auf ihr geringes Alter sein kann aber nicht muss. Wenn man bedenkt, dass kaum Licht auf die Malereien fiel, da das Werk geschlossen aufbewahrt wurde, ist ein Vergleich mit Rollbildern, die im Normalfall einem gewissen Lichteinfall ausgesetzt sind und deren Farben sich in der Folge stark verändern, nicht zulässig. Der Stoff, mit dem die Buchdeckel eingefasst sind, ermöglicht auch keine genaue Datierung, da er der Ching Dyanstie zugeordnet wird, die den grossen Zeitraum von 1644 bis 1912 umfasst. Auch die im Werk verwendeten Farben bringen uns nicht viel weiter. Es ist bekannt, dass das Schweinfurter Grün, das zum Malen der Ikonen Verwendung fand, erst ab 1814 hergestellt wurde, also muss das Werk nach 1814 gemalt worden sein. Zusätzlich erinnert die Art der Deckelgestaltung an die für tibetische und mongolische Kanon-Texte typische Ausstattung im Peking des 18./19. Jahrhunderts. Eine Zeit um 1850 ist wahrscheinlich. [Home | Veranstaltungen | Archive | Bibliothek | Lehrveranstaltungen | Publikationen | Kontakte | Links] Last update: 29.11.2002 |