VÖLKERKUNDEMUSEUM
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Der Mond als Schuh

Zeichnungen der San

Zeichnungen und Aquarelle von Diä!kwain, /Han≠kass’o, Tamme, !Nanni, /Uma und Da

2. Stock

28. September 2002 bis 5. Januar 2003

Medienorientierung: Freitag, 25. Oktober 2002, 10.30 Uhr mit Prof. Dr. Miklós Szalay, Kurator der Ausstellung und Leiter der Abteilung Schwarzafrika am Völkerkundemuseum.

Buchvernissage und Fest: Freitag, 25. Oktober 2002, 20 – 24 Uhr.

Zur Ausstellung erscheint die Publikation:

Miklós Szalay (Hrsg.): Der Mond als Schuh. Zeichnungen der San. Zeichnungen und Aquarelle von Diä!kwain, /Han≠kass’o, !Nanni, Tamme, /Uma und Da. Mit Beiträgen von Megan Biesele, Frédéric Bouabré, Elias Canetti, Janette Deacon, Keith Dietrich, Mathias G. Guenther, Roger L. Hewitt und Miklós Szalay. Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich 2002, 312 S., 240 Farb- und 20 Schwarz-Weiss-Abbildungen, zweisprachig deutsch/englisch.

Das Buch kostet während der Ausstellung Fr. 50.–, danach Fr. 78.–.

Völkerkundemuseum der Universität Zürich
Pelikanstr. 40, 8001 Zürich

Öffnungszeiten:

Dienstag bis Freitag: 10 – 13 und 14 – 17 Uhr
Samstag: 14 – 17 Uhr
Sonntag: 11 – 17 Uhr

Eintritt frei

Überblick

In der aussergewöhnlichen Schau "Der Mond als Schuh" erzählen Angehörige der Kultur der San oder Buschmänner, der ältesten Bewohner des südlichen Afrika und Schöpfer der berühmten Felsmalereien, in 229 kleinformatigen Bildern über ihre einstige Lebenswelt. Die zwischen 1875 und 1881 entstandenen Zeichnungen und Aquarelle sind frei von jedem Kalkül und Kunstwollen, doch gerade, wenn man sie als Kunstwerke betrachtet, wird ihre Direktheit, ihr Zauber und Charme offenbar. Dieser Bilderschatz, über hundert Jahre in Kapstädter Museen und Bibliotheken verwahrt, wird nun erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Ende des 19. Jahrhunderts dokumentierten Wilhelm Bleek und Lucy Lloyd in Kapstadt die dem Untergang geweihte Sprache und Kultur der San. Sie befragten eine Reihe von Informanten, die sie bei sich zuhause aufnahmen, und füllten mit deren Texten – vor allem Erzählungen und Vokabular – 13'000 Notizbuchseiten. Auf ihre Anregung hin entstand auch eine grosse Anzahl von Zeichnungen und Aquarellen. Sechs San-Männer, der Gruppe der /Xam und !Xun zugehörig, erzählten den beiden Forschern in Bildern ausführlich über ihre einstige Heimat. Pflanzen, Tiere, Menschen, topografische Gegebenheiten, tägliche Handlungen und Gegenstände sowie ausserordentliche Vorkommnisse bilden die wichtigsten Motive der kleinformatigen Blätter. Sie sind eine bildnerische Enzyklopädie der heimatlichen Lebenswelt der San und zugleich Chiffren der Erinnerung und der Sehnsucht.

Bei den Zeichnungen fallen Präzision und Detailreichtum besonders ins Auge. Wir staunen über die profunden Kenntnisse der jungen !Xun-Künstler, besonders von !Nanni und Tamme, über die Pflanzenwelt und wie sie diese gleichsam aus dem Stegreif grafisch wiederzugeben wussten. Die feinen Tierzeichnungen der beiden /Xam, Diä!kwain und /Hankass'o, erinnern an die Felsgravierungen in ihrer Heimat. Der ästhetische Reiz der Bilder wird erhöht durch die Notate, die von Lucy Lloyd nach Rücksprache mit den Künstlern auf den Blättern angebracht wurden.

Die Ausstellung zeigt eine repräsentative Auswahl der Zeichnungen und Aquarelle, die bisher nur vereinzelt publiziert worden sind und noch nie ausgestellt waren. Sie werden ergänzt durch die Kommentare zweier Gegenwartskünstler, Frédéric Bruly Bouabré (Elfenbeinküste) und Keith Dietrich (Südafrika). Die Ausstellung wird ab 27. April 2003 in der South African National Gallery in Kapstadt gezeigt.

 

Erläuterungen zu den Künstlern

Diä!kwain

Diä!kwain gehörte zu den /Nussa oder Grass Bushmen, einer der vier sprachlich und kulturell leicht unterschiedlichen Gruppen der /Xam-San im nordwestlichen Kapland.

Er hatte Erfahrungen mit schamanistischen Praktiken. Der Schamanismus war ein weit verbreitetes Phänomen bei den /Xam. Schamanen konnten, hiess es, aus sich heraustreten und als unsichtbare Wesen, oder verwandelt in Tiere, weit und schnell umherreisen.

Diä!kwain war im Dezember 1873 zu Wilhelm Bleek und Lucy Lloyd gekommen, und er blieb bis März 1876.

Lloyd war mit Bleek verschwägert und lebte mit ihm und seiner Familie zusammen in einem Haushalt in Kapstadt. Auf Bleeks Ersuchen wurde Diä!kwain vom Kapstädter Breakwater-Gefängnis entlassen, wo erseit 1869 wegen einer angeblichen Straftat – er soll einen europäischen Farmer erschossen haben – einsass.

Als er zu den Bleeks kam, war er etwa 29 Jahre alt: er war zweimal verheiratet und hatte vier Kinder. Er galt als kenntnisreicher Informant und guter Erzähler. Seine 17 Zeichnungen, die stilistische Ähnlichkeiten haben mit der Felsbildkunst in der Gegend, aus der er herkam, entstanden 1875.

Er starb bald, nachdem er Bleek und Lloyd verliess und in seine Heimat zurückging. Er wurde von Freunden des Farmers, den er angeblich umgebracht hatte, in einem Akt der Selbstjustiz getötet.

 

/Han≠kass’o

/Han≠kass’o war ein Ss’wa ka oder Flat Bushman. Ende der 1860er-Jahre wurde er 25-jährig wegen Viehdiebstahls verhaftet und zur Zwangsarbeit verurteilt. Er sass zur gleichen Zeit wie Diä!kwain im Breakwater­Gefängnis in Kapstadt ein. Nach seiner Haftentlassung 1871 ging er in seine Heimat zurück.

Im Januar 1878 kam er auf Ersuchen von Lucy Lloyd nach Kapstadt und blieb zwei Jahre.

Wie Diä!kwain war auch er ein "wunderbarer Geschichtenerzähler" und ein kenntnisreicher Informant. Noch heute wird aus linguistischer und künstlerischer Sicht die Komposition seiner Erzählungen gerühmt. Er zeichnet für 43 Blätter; manche Sujets stellte er extrem stilisiert, gleichsam diagrammartig verkürzt dar. Diese wie auch seine eher realistischen Zeichnungen erinnern an die Felsgravierungen in seiner Heimat.

Er war verheiratet und hatte zwei Kinder. Seine Frau und eines seiner beiden Kinder verlor er auf dem Weg nach Kapstadt zu Lucy Lloyd. Sie starben an den Folgen einer brutalen Polizeiattacke.

Ende 1879 verliess /Han≠kass’o Kapstadt, um zu seinem Sohn zu reisen, der damals auf einer Farm im Norden des Kaplandes angestellt war. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt.

!Nanni, Tamme, /Uma und Da

!Nanni und die drei anderen Jungen aus der Gruppe der !Xun-San, Tamme, /Uma und Da, hielten sich zwischen September 1879 und März 1884 in Kapstadt auf. Sie lieferten wertvolle Auskünfte über Sprache und Kultur ihrer Heimatgesellschaften im Norden des heutigen Namibia und Süden von Angola, und hielten ihre Lebenswelt auf unzähligen Blättern fest.

Alle vier gehörten verschiedenen !Xun-Gruppen an, die leicht unterschiedliche Dialekte sprachen. Alle vier kamen durch Vermittlung der Kolonialbehörden zu Lucy Lloyd nach Kapstadt.

Obwohl sie nach unseren Begriffen als Kinder zu bezeichnen sind (!Nanni und Tamme dürften Teenager, /Uma vielleicht zehn und Da sieben Jahre alt bei ihrer Ankunft in Kapstadt gewesen sein) müssen !Nanni und Tamme, gemessen an dem Standard ihrer eigenen Gesellschaften, als junge Männer gelten; und das Schicksal, das ihnen zuteil wurde, machte wohl auch /Uma und Da erfahrener und reifer, als !Xun-Kinder es sonst in ihrem Alter waren.

!Nanni schuf über 300 und Tamme rund 150 Zeichnungen und Aquarelle. Weniger produktiv waren /Uma und der kleine Da. Auf /Uma gehen rund fünfzig Bilder zurück und auf Da etwa zwanzig. Während die beiden /Xam-Künstler, Diä!kwain und /Han≠kass’o, die sich zu verschiedenen Zeiten in Kapstadt aufhielten, unabhängig voneinander arbeiteten, scheinen die jungen /Xun sich gegenseitig beeinflusst und Anleihen beieinander gemacht zu haben. Sie zeichneten und aquarellierten oft gleichzeitig.

!Nanni und Tamme wurden im März 1882 in ihre Heimat zurückbegleitet. /Uma verliess Kapstadt im Dezember 1883, nachdem ein Beamter des Native Affairs Department einen Dienstherren für ihn gefunden hatte. In März 1884 nahmen die Behörden auch Da in ihre Obhut.

Frédéric Bruly Bouabré

Frédéric Bruly Bouabré spürt den Zeichen der Welt nach. Wolkenformationen, Früchte, Tattoos, Steine, Zeitungsartikel und Erzählungen dienen ihm als Anlass zur Neudeutung der Welt. In kleinen Grafiken immer gleichen Formats sammelt, archiviert und reformuliert er grosse Themen der Geographie, Geschichte, Philosophie, Soziologie, Politik, Linguistik u.a.m. Für die Bete-Sprache schuf er ein eigenes Alphabet. Visuelles und Begriffliches gehen in seinem Werk eine Synthese ein; er ist ein Bild/Text-Künstler. Sein Oeuvre mit dem Titel "Connaissance du monde" – "Die Kenntnis der Welt" – kommt einer globalen Enzyklopädie gleich.

Bouabré kommentierte die Arbeiten der San-Künstler, indem er eine Auswahl von ihnen in eigener Lesart mit Legenden versah.

Titel des Beitrags von Bouabré: "Les hommes sont dans les fruits et les fruits sont dans les hommes" – "Die Menschen sind in den Früchten und die Früchte sind in den Menschen".

Keith Dietrich

Keith Dietrich, Künstler und Ethnologe, folgt der Reiseroute früherer wissenschaftlicher Reisender und verfährt dabei ähnlich wie diese: Sämtliche unterwegs gefundenen Objekte und Materialien werden gesammelt, Steine, Insekten, Gebrauchsgegenstände etc., und später im Atelier in collageartigen Zeichnungen und Malereien meist in Wasserfarbe fotorealistisch festgehalten. Im Gegensatz zu den Wissenschaftlern unterzieht er das gesicherte Material jedoch keiner Wertung: Alles steht gleichrangig nebeneinander.

Als Kommentar zu den San-Zeichnungen und Aquarellen malte Dietrich eine Serie von kleinformatigen Bildern in Wasserfarbe, die mit ihren Sujets auf das Herkunftsland der San-Künstler verweisen und durch ihre Technik und ihren enzyklopädischen Ansatz auf deren Werk Bezug nehmen. Auf seine Art erschuf er das Werk der San-Künstler neu.

Titel der Werkserie von Keith Dietrich: "Supposed to be a plant living near the mountain" – "Vermutlich eine in Gebirgsnähe wachsende Pflanze". Zitiert wird eine Anmerkung zu einem Aquarell von !Nanni (Bild 137 in der Ausstellung).

 

 

Hochauflösende JPEG-Bilder erhalten Sie durch Anklicken, bzw. "Ziel speichern unter...", des entsprechenden Bildes; wir können Ihnen auch eine CD-ROM mit Bildern noch höherer Auflösung zukommen lassen.

sangr02.jpg (1.1 MB)

Diä!kwain
April 1875, 171 x 215 mm, Bleistift

!khwai gwai «Männliche Gemsantilope»

 

sangr03.jpg (1.6 MB)

Diä!kwain
Mai 1875, 171 x 215 mm, Farbstift

!khwa ka xoro oder "Wasserbulle" (ein Tier, von dem es heisst, es lebe im Wasser, und das angeblich von den Zauberern (Schamanen) gefangen und von ihnen dann, wenn sie Regen machen wollen, über Land geführt werde).

 

sangr04.jpg (1.9 MB)

Tamme
zwischen 1878 und 1881, 137 x 165 mm, Kohle

//ha //ha she (wird vom Menschen gegessen)

 

sangr05.jpg (0.4 MB)

Diä!kwain
März 1875, 63 x 96 mm, Bleistift

/kaggen gwai [männliche Gottesanbeterin]

sangr06.jpg (1.8 MB)

/Han≠kass’o
Dezember 1878, 177 x 225 mm, Bleistift

«Hendrik Sasas» und «Damin Ferris», zwei «Mischlinge» [Diagramm einer Springbockjagd]
1. Aus dieser Richtung kommen die Springböcke
2. Hier nähern sie sich den Stöcken mit den aufgesteckten Federn
3. Hier steht eine Frau, die feinen Sand in die Luft hochwirft. Eine Reihe von Stöcken mit aufgesteckten Federbüschen, wie sie bei der Jagd nach Springböcken gebraucht werden, um die Tiere zum Umkehren zu bringen. Die Linien stellen Buschmänner dar, die auf sie warten.
4. Dieser Mann, dem die Stöcke gehören, liegt zuvorderst.

sangr07.jpg (1.9 MB)

/Han≠kass’o
März 1879, 205 x 171 mm, Bleistift

dju
[Möglicherweise der Rhinozeros-Käfer, ähnlich dem Mistkäfer]

Ssauken
[Ein Spiel, das die Buschmänner nachts auf einem flachen Platz spielen]

sangr08.jpg (1.1 MB)

Tamme
zwischen 1878 und 1881, 240 x 150 mm, Kohle

!kuonni-desin
[weibliche Palmen]

!kuonni//go
[männliche Palme]

sangr09.jpg (2 MB)

!Nanni
25. Juni 1880, 253 x 177 mm, Bleistift

1. //gue  ein kleiner Baum mit essbaren Früchten, die roh gegessen werden
2. //gei !ka  Pflanze oder kleiner Strauch mit essbaren Früchten, die roh gegessen werden
3. Baumhöhle, wo sich Regenwasser angesammelt hat
4. Öffnungen derselben
5. Grashalme, mit denen das Wasser, aus der Höhle getrunken wird.

sangr10.jpg (2.5 MB)

Tamme
11. Oktober 1881, 210 x 171 mm, Bleistift

1. /nuwa  eine kriechende Pflanze, deren Frucht gegessen wird. Die Früchte sind stachelig mit langen Stacheln. Die Flüssigkeit der Wurzel wird dem Pfeilgift zugegeben. Die Wurzel wird /nuwa genannt; und die Frucht tcha. Die Früchte sind hellfarben.
2. mmonno  eine kriechende Pflanze, deren Frucht rötlich und stachelig ist (mit kleinen Stacheln). Die Frucht wird von den !Kun nicht gegessen, jedoch die Wurzel.


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Last update: 29.11.2002
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