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Völkerkundemuseum

Medienmitteilung und Pressematerialien

Zürich, 5. Oktober 2022

Sammeln und Verkaufen als Geschäftsmodell und Beziehungskit

Die Noanamá, eine indigene Gruppe in Kolumbien, versorgten den Insektenforscher und Völkerkundler Borys Malkin zwischen 1968 und 1972 mit über 2'200 Objekten aus ihrem Alltag. Zu Sets gebündelt, verkaufte Malkin die Objekte an Museen in Europa und Nordamerika, darunter 1969 ans Völkerkundemuseum der Universität Zürich. Eine Werkstatt-Ausstellung untersucht diese kommerzielle Sammelpraxis und die damit angelegten Beziehungen: zwischen Noanamá und Sammler Malkin, aber auch zu Museumsmitarbeitenden und -besuchenden.

Borys Malkins (1917–2009) Leidenschaft war das Reisen. Als junger Mann siedelte er von Warschau in die USA über, wo er Insektologie und Anthropologie studierte und während des Zweiten Weltkrieges in der Armee diente. Nach seinem Studium führte er über weite Strecken ein nomadisches Leben und entwickelte ein Arbeitsmodell, das ihm erlaubte, von unterwegs tätig zu sein. Dabei spielte ihm seine zweite Passion in die Hände: Er war begeisterter Sammler, zuerst von Insekten, später auch von Alltagsgegenständen lokaler Bevölkerungsgruppen.

Geschäftsbeziehungen in den Chocó Kolumbiens

Während vier Jahren gelangten über Malkin mindestens 2'214 Objekte der Noanamá in mehr als ein Dutzend Museen in Nordamerika und in Europa – rund 140 davon ans Völkerkundemuseum der Universität Zürich. Der Sammler fertigte auch umfassende fotografische Dokumentationen zum Gebrauch der Objekte an und erstellte 16-mm-Filme zu ihrer Herstellung, die an heutige Youtube-
Tutorials erinnern. Malkin war eingebunden in ein Sammlernetzwerk und hatte eine gute Kenntnis des Ethnografika-Marktes. Die Noanamá besuchte er gleich viermal, da sich die Geschäftsbeziehung zu ihnen offenbar erfolgreich gestaltete – im Unterschied zu anderen indigenen Gemeinschaften, die Kontakte zu Sammlerinnen und Forschenden wehrhaft ablehnten. Indem ihre Objekte über Malkin in europäische und nordamerikanische Museen gelangten, entstand ein Beziehungsgeflecht, das bis in die heutige Zeit weiterwirkt: zwischen Malkin und den Noanamá, aber auch zwischen deren Nachkommen und den Menschen, die sich heute mit den Objekten befassen.

Einstige Begegnungen als Startpunkt für anhaltende Beziehungen

Doch wie erlebten die damaligen Noanamá die Begegnungen, die Foto- und Filmaufnahmen? Was hat sie dazu bewogen, Objekte abzugeben? Haben sie die Gegenstände verschenkt oder einen Gegenwert dafür ausgehandelt? Und was sagen heutige Noanamá zur damaligen Praxis und den Sammlungen in westlichen Museen? Diese Fragen sollen im Zuge der Werkstatt-Ausstellung aufgearbeitet werden.

Malkin war ein reger Briefeschreiber, und möglicherweise wird die umfangreiche Korrespondenz mit seiner in Polen lebenden Frau mehr über die Begegnungen zwischen ihm und seinen Zeitgenossen zu Tage fördern. Kuratorin Maike Powroznik entwickelt zudem Gefässe des online- und on site-Austauschs mit heutigen Noanamá, um ihre Perspektiven einzubeziehen: «Ein Hauptziel ist es, die Sammlung den Nachfahren der Urhebergesellschaft bekannt zu machen. Gemeinsam möchten wir herausfinden, welche Objekte wir genau vor uns haben und warum, welches Wissen über die Welt darin bewahrt ist und welcher weitere Umgang damit gepflegt werden soll.»

Sammlungsgegenstände selbst erforschen

Arbeitsplätze beim Ausstellungseingang laden die Besucherinnen und Besucher ein, sich anhand von fünf Leitfragen selbst mit den am Museum vorhandenen Quellen zur Noanamá-Sammlung auseinanderzusetzen: mit Dias und Abzügen, Filmen, Karteikarten und Ordnern aus dem Schriftenarchiv. Die ausgestellten Gegenstände – darunter Trinkgefässe, Kochgeschirr, Körbe, Jagdwaffen, Paddel, Schmuck und Spielsachen – werden auf Replika der originalen Karteikarten beschrieben, die detaillierte Notizen von Malkin enthalten. Auf eigene Legenden verzichtet Kuratorin Powroznik bewusst: Sie sollen hinzukommen, sobald im Zuge der Werkstatt-Ausstellung neue Erkenntnisse gewonnen wurden.

Malkin sah in den präsentierten Objekten ein «komplettes Objekt-Set» der materiellen Kultur von Noanamá – ein Verständnis, das die heutige Ethnologie nicht mehr teilt. Die Ausstellungsgestaltung bringt dies mit verschiedenen Spiegeln an den Vitrinen zum Ausdruck. Diese brechen den Verbund der Objekte auf und beziehen zugleich die Besucherinnen und Besucher ein. Die Grenzen zwischen Betrachtenden und Betrachtetem verschwimmen, die über die Objekte angelegten Beziehungen zwischen verschiedenen Menschen werden spürbar. In der Szenografie spiegelt sich so auch ein Vorstellungsbild der Noanamá, auf das Kuratorin Powroznik während ihrer Vorbereitungen gestossen ist: die Welt als eine Art Rhizom, als grosses organisches Geflecht, in dem alles und alle miteinander verwachsen sind.

«Geschäftsidee? 5 Fragen an ‚das Objekt-Set‘ von Noanamá aus Kolumbien»
Ausstellung im Völkerkundemuseum der Universität Zürich
Pelikanstrasse 40, 8001 Zürich
7. Oktober 2022 bis 21. Januar 2024
Di, Mi, Fr 10–17, Do 10–19, Sa 14–17, So 11–17 Uhr

 

Download (PDF, 119 KB) Medienmitteilung 04.10.2022 «Geschäftsidee?»

Kontakte

Völkerkundemuseum der Universität Zürich
Dr. Maike Powroznik, Kuratorin
+41 44 634 90 20
powroznik@vmz.uzh.ch


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Universität Zürich
+41 44 634 44 67
mediarelations@kommunikation.uzh.ch

 

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Weiterführende Informationen

Pressefotos

Noanamá Sammlung

Noanamá Sammlung

Mehr zu Noanamá Sammlung

Objekte der Noanamá aus der Sammlung, die Borys Malkin dem Völkerkundemuseum UZH verkauft hat. Foto: Kathrin Leuenberger, 2022.

«Geschäftsidee?»

«Geschäftsidee?»

Mehr zu «Geschäftsidee?»

Blick in die Ausstellung. Foto: Kathrin Leuenberger

Die Noanamá Rana flicht einen Feuerfächer. Fotografisch und filmisch hielt der Sammler Borys Malkin Schritt für Schritt die Entstehung verschiedener Objekte fest.

Rana, Noanamá-Gebiet, Dorf Quebrada Taparral am Río San Juan/Kolumbien 1969, Sammlung Völkerkundemuseum UZH, Inv.Nr. 851.01.072. Foto: Borys Malkin, 1969.

Objekte rund um das Hauptgetränk huarapo

Objekte rund um das Hauptgetränk huarapo

Mehr zu Objekte rund um das Hauptgetränk huarapo

Bei zeremoniellen Anlässen wurde das alkoholische Getränk huarapo, vergorener Zuckerrohrsaft, getrunken. Verschiedene Objekte der Sammlung geben Hinweise auf diese Zusammenkünfte.

Hersteller:innen unbekannt, Noanamá-Gebiet am Río San Juan/Kolumbien 1968/69, Sammlung Völkerkundemuseum UZH, Inv.Nr. 13394–395, 13408–410, 13416–417, 13453–454. Foto: Kathrin Leuenberger, 2022.

Eine Frau spült Trinkschalen am Fluss.

Wohnen und Leben am Fluss

Mehr zu Wohnen und Leben am Fluss

Eine Frau spült Trinkschalen am Fluss.

Abgebildete Person unbekannt, Noanamá-Gebiet, Dorf Pángala am Río San Juan/Kolumbien 1968–72, Sammlung Völkerkundemuseum UZH, Inv.Nr. 851.01.063. Foto: Borys Malkin, 1968–72.

Gegenstände von und für Kinder

Gegenstände von und für Kinder

Mehr zu Gegenstände von und für Kinder

Mit diesen Puppen, Paddeln oder Kreiseln – hergestellt von den Eltern oder selbst gebaut – spielten und lernten die Kinder soziale Werte und praktisches Wissen.

Hersteller:innen unbekannt, Noanamá-Gebiet am Río San Juan/Kolumbien 1968/69, Sammlung Völkerkundemuseum UZH, Inv.Nr. 13391-392, 13462, 13437–438, 13443-445. Foto: Kathrin Leuenberger, 2022.

Eine Frau verziert das Gesicht eines Mädchens.

Abgebildete Personen unbekannt, Noanamá-Gebiet am Río San Juan/Kolumbien 1968/69, Sammlung Völkerkundemuseum UZH, Inv.Nr. 851.01.162. Foto: Borys Malkin, 1968/69.

Geflochtene verschliessbare Taschen und Körbchen, teilweise Handelsware oder auch zum Aufbewahren und Transport eigener kleiner Gegenstände.

Herstellerinnen unbekannt, Noanamá-Gebiet, Dorf Pángala am Río San Juan/Kolumbien 1968/69, Sammlung Völkerkundemuseum UZH, Inv.Nr. 13426–430. Foto: Kathrin Leuenberger, 2022.

Kochtöpfe und Salzgefässe, Quirle und Kochlöffel, Schnecken und Kokosnuss sind einige Gegenstände und Nahrungsmittel, die Borys Malkin rund um das Kochen bei Noanamá sammelte.

Hersteller:innen unbekannt, Noanamá-Gebiet am Río San Juan/Kolumbien 1968/69, Sammlung Völkerkundemuseum UZH, Inv.Nr. 13364–366, 13370–371, 13402, 13451–452, 13459–460. Foto: Kathrin Leuenberger, 2022.