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Das Freiwerden der Hände für das Töpfern auf der Drehscheibe war eine Innovation von weitreichender Tragweite. Weltweit trifft man heute auf eine grosse Vielfalt an Techniken, mit denen getöpfert wird: auf von Fuss oder von Hand betriebener Scheibe, im Uhr- oder Gegenuhrzeigersinn, auf einem Stuhl sitzend oder bodennah hockend, stehend, vornüber gebeugt und vieles mehr. Damit einher geht eine Vielfalt des Einsatzes des Körpers.
Körperhaltungen sind weniger individuell als vielmehr lokal gebräuchlich: "So töpfert man bei uns." Scheinbare Nichtigkeiten wie Arbeitswinkel, Sitzhaltungen, Arbeitsgesten erweisen sich bei genauerer Betrachtung als Ausdruck von weit mehr als nur der Arbeitsgewohnheit. Es erscheint darin der Mensch in seinem technischen Können, in der Geschichte und Kultur der Gemeinschaft, in der er aufgewachsen ist, in seiner persönlichen Körpergeschichte.
Ethnologen interessieren sich für die Perspektive des Anderen. Sie widmen sich der Frage, wie die Welt aus der Sicht des Fremden – hier des chinesischen Töpfers – aussieht.
Unter Körpertechnik versteht man in der Ethnologie die spezifische Art und Weise, in welcher sich Menschen in den verschiedenen Kulturen ihres Körpers bedienen. Auch die alltäglichen Verrichtungen sind kulturell geprägt. Da dazu keine willentliche Anstrengung nötig ist, scheint es, als ob der Körper selbst „wisse“. Der Körper ist also mehr als ein blosses Werkzeug. In ihm wird kulturelles Wissen gespeichert.
Die Töpferei ist eines der ältesten menschlichen Handwerke. Insbesondere China ist für die hohe Qualität seiner Porzellane und die damit verbundenen speziellen Verarbeitungstechniken berühmt. Die Ausstellung am Völkerkundemuseum geht zwei Aspekten der Arbeit chinesischer Keramiker auf den Grund: der Technik des Abdrehens und dem bodennahen Arbeiten.
Abdrehen: In China wird mit der relativ unplastischen Porzellanerde zunächst eine dickwandige, noch nicht klar erkennbare Form gedreht. Erst der Abdreher schneidet die Form aus dem trockenen, aber ungebrannt zerbrechlichen Rohling und erschafft daraus die ebenmässige, hauchdünne Porzellanwandung. Für diese anspruchsvolle Fertigkeit benötigt er die entsprechende Praxis.
Bodennah: Im chinesischen Altertum sass Konfuzius auf der Matte. Innert mehr als 1000 Jahren erhob man sich in China, von der Matte über den Faltstuhl auf die Sitzplattform, den Stuhl, den Thron – ein Prozess, der in manchen Bereichen des Alltags auch heute andauert. Das sieht man im Handwerk. Wer – wie die chinesischen Töpfer auch heute– nah am Boden arbeitet, braucht eine entsprechende Technik. In Bodennähe wird an der im Boden versenkten Töpferscheibe in grosser Menge, in grosser Dimension und in grosser Feinheit produziert.
In der Ausstellung werden Filme gezeigt, die das Ergebnis der begleitenden Filmforschung am Völkerkundemuseum sind. Wie dokumentiert man Körpertechniken und das damit ausgedrückte Körperwissen? Die Ausstellung sucht auch hier nach möglichen Antworten. Der äusserliche Aspekt von Körperwissen ist beobachtbar. Er kann dokumentiert, fotografiert, gefilmt und beschrieben werden. Derjenige Teil des Körperwissens, der sich aus dem kulturellen Hintergrund ergibt, ist weniger gut zugänglich. Dessen Erschliessung ist oft nur indirekt, z.B. über die Befragung der Töpfer oder die genaue Betrachtung eines hergestellten Objekts möglich.
Für die angemessene Erforschung und Darstellung wurde somit ein Nebeneinander verschiedener Medien gewählt. Neben den Werkzeugen und Materialien geben auch die Objekte selbst Aufschluss über ihre Entstehung. Neben Texten zu Hintergrund und Umgebung bieten sich Fotografie und Film für interessante Einsichten an.
Die Ausstellung informiert aus einem laufenden Forschungsprojekt am Völkerkundemuseum der Universität Zürich, in dem eine Keramikerin und Sinologin, ein visueller Ethnologe, eine Fotografin und eine Technikethnologin die Arbeit chinesischer Töpfer erschliessen.
Mertens, Anette und Thurnherr, Christof und Leuenberger, Kathrin und Flitsch, Mareile (Hrsg.), Abgedreht! China töpfert bodennah. Völkerkundemuseum der Universität Zürich 2010, 48 Seiten mit zahlreichen Farbfotos, ISBN 978-3-909105-52-6, Fr. 10. --.
Eine Pressekonferenz findet nicht statt. Interviewanfragen richten Sie bitte an Prof. Dr. Mareile Flitsch, Direktorin des Völkerkundemuseums der Universität Zürich, und zwar über das Sekretariat des Völkerkundemuseums, Tel. 044 634 90 11, Fax: 044 634 90 50, musethno@vmz.uzh.ch