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Der Begriff Kalamkari, ein persisch-indisches Komposit-Wort, bezeichnet eine mit einem Schreibrohr (kalam) ausgeführte Arbeit (kari). Die in einem aufwendigen Prozess hergestellten Baumwolltücher dieses Namens charakterisiert eine markante schwarze Umrisszeichnung und eine intensive, vornehmlich auf Rot, Gelb und Blau basierende Farbigkeit. Wichtige Zentren einer freihändig gestalteten, devotionalen Kalamkari-Kunst befinden sich im Südosten Indiens.
Die Kalamkari-Tempeltücher sollen Gottheiten und Geschichten ihres Wirkens sinnlich vor Augen führen. Je nach Format als Wandbehang, Baldachin, Banner und Fahne oder zum Schmuck von Prozessionswagen verwendet, markieren sie einen sakralen Raum. Sie bieten eine verdichtete Präsenz des Göttlichen und haben zugleich eine narrative Funktion. Sie dienen der Erbauung, Veranschaulichung und Erinnerung. Es gibt Tücher, die einzelne Gottheiten darstellen. Diese sind frontal ins Bild gesetzt, damit der für die Verehrung notwendige Blickkontakt, darshan, gewährt ist. Andere Kalamkari, meist grossformatige, mit zum Teil ausführlichen Beschriftungen versehene Stücke, sind in mehreren Registern organisiert, die horizontal um ein grosses zentrales Panel verlaufen. In aufeinander folgenden Bildern illustrieren sie Geschichten aus den Puranas oder den grossen indischen Epen Mahabharata und Ramayana. Die stärkste Wirkung geht bei diesen Tüchern vom imposanten Mittelstück aus, einer szenischen Verdichtung des Themas. Die kleineren Darstellungen sind wie Buchzeilen dem Erzählfluss entsprechend von links nach rechts und von oben nach unten verlaufend angeordnet.
Das Völkerkundemuseum hat einen vielfältigen Bestand an Tempeltüchern aus Tamil Nadu und Andhra Pradesh, die ästhetische und stilistische Konventionen dieser malerischen Tradition veranschaulichen. Diese Kalamkari gelangten zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach Zürich: 1926 erwarb der damalige Direktor des Hauses, Hans Wehrli, einige Tuchbilder, dies in der Absicht, für die universitäre Lehrsammlung die hinduistische Götterwelt in unterschiedlichen Medien und Ikonographien zu repräsentieren. Die in Madras (dem heutigen Chennai) gekauften Stücke stammen aus zwei bedeutenden Zentren sakraler Kalamkari-Produktion, Sikkinaickenpet am Kollidam-Fluss und Srikalahasti. Rund sechzig Jahre später, 1987, bot sich die Gelegenheit, diese qualitativ hochstehende kleine Gruppe um ein grösseres Ensemble jüngerer Tücher aus Srikalahasti zu ergänzen. Neben Repräsentationen einzelner Gottheiten kam damals auch eine Reihe von narrativen Malereien ins Museum.
Die Sammlung darf in ihrer historischen Tiefe für die südindische Kalamkari-Kunst als repräsentativ gelten. Sie wird in der Ausstellung – in einer Qualität und Formenvielfalt berücksichtigenden Auswahl – der direkten Betrachtung zugänglich gemacht.