Medienmitteilung
Zürich
Pressetext kurz
Eindrucksvoll dokumentiert die Ausstellung den kulturellen Wandel und die Präsenz der Lakota-Sioux auf der Rosebud-Reservation in South Dakota. Eine ungewöhnliche Geschichte führte zur Entstehung dieser Ausstellung: das Aufspüren eindrucksvoller Indianer-Fotographien und die Identifikation von dargestellten Personen war der Auslöser für die Begegnung des schwedischen Fotographen Claes-Håkan Jacobson mit Rosebud-Sioux in den 1970er Jahren. Ein Jahrhundert vorher hatte auf eben dieser Reservation ein anderer Schwede, John Anderson, als Händler gelebt und nebenbei das Alltagsleben fotographisch dokumentiert. Zu seinen bekanntesten und vielfach reproduzierten Fotos gehören Portraits von Lakota-Anführern, deren Namen in die Geschichtsbücher eingegangen sind. Um höchste Qualität zu zeigen, wurden für die Ausstellung Abzüge von John Andersons Original-Glasplatten verwendet.
Das Verdienst von Claes-Håkan Jacobson ist es, neben Portraits von bekannten Persönlichkeiten auch Fotos aus der Produktion Andersons auszuwählen, die Einblick geben in den indianischen Lebensalltag zwischen 1890 und 1920. Sie dokumentieren so die frühe Reservationszeit der Sioux. Durch die Verbindung der historisch wertvollen Fotodokumente mit seinen zeitgenössischen Aufnahmen wird die historische Dimension von Veränderung und Kontinuität des kulturellen Lebens der Lakota sichtbar.
Die Fotographien werden zusammen mit Exponaten ausgestellt, um sie als sichtbare Dokumente ihrer Zeit zu ergänzen. Die historischen Aufnahmen von John Anderson lassen sich in einen direkten Zusammenhang stellen mit kulturellen Gegenständen, die zwischen 1890 und 1910 von den Lakota gesammelt wurden. In der Sammlung des Linden-Museums Stuttgart befindet sich beispielsweise ein Pfeifenbeutel des angesehenen Anführers Hollow Horn Bear, der von John Anderson porträtiert wurde. Die von Claes-Håkan Jacobson in den letzten Jahren mit Bedacht gesammelten Exponate belegen deutlich das Weiterleben kultureller Traditionen im zeitgenössischen Kunsthandwerk. Die Lebenssituation der Sioux auf der Rosebud-Reservation ist repräsentativ für viele indianische Gesellschaften, insbesondere der früheren Bisonjäger-Kulturen.
Die Ausstellung wurde von Claes-Håkan Jacobson und Eva Anderson, Stockholm, konzipiert. Die deutsche Version entwickelte Dr. Sonja Schierle, Linden-Museum Stuttgart, in Zusammenarbeit mit Dr. Peter R. Gerber, Völkerkundemuseum der Universität Zürich.
Pressetext lang
Die Ausstellung zeigt die berühmten Fotografien von John Anderson, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf der Rosebud-Reservation, South Dakota, entstanden. Ihnen sind Objekte gegenübergestellt, die die Lebendigkeit des traditionellen Kunsthandwerks der Lakota belegen. Der Vergleich ermöglicht Einblicke in die dramatischen Veränderungen im Leben der Lakota.
John Anderson (1869-1948) verbrachte über 45 Jahre seines Lebens auf der Rosebud-Reservation. Er gehört zu den wenigen Fotografen seiner Zeit, die in der Lage waren, anhaltende, ehrliche und natürliche Beziehungen zu den Sicangu-Lakota zu pflegen – und dies in einer Zeit verstärkter Spannungen und Konflikte. Die Sicangu (oder Brulé) sind eine Lokalgruppe der Teton-Lakota, auch bekannt unter dem Begriff «Sioux-Indianer»
Der Autor der Ausstellung Claes-Håkan Jacobson (geb. 1944) konzentrierte seine fotohistorische Forschung seit den frühen 1980-er Jahren auf den schwedisch-amerikanischen Pionier-Fotografen John Anderson. Mit seinem Interesse an der heutigen Geschichte der Lakota, die auf der Rosebud-Reservation leben, lernte er im Laufe seiner Feldforschungen vor Ort viele Nachfahren von Personen kennen, die John Anderson zu seiner Zeit fotografiert hatte. Claes-Håkan Jacobson stellt deshalb fest:
Die Geschichte der Lakota auf Rosebud endete keineswegs mit dem Errichten der Reservation oder mit dem Wegzug von John Anderson aus der Reservation im Jahr 1930 – die Lakota leben noch immer, und es gibt eine Zukunft für sie und ihre Kultur!
Auf der Basis seiner Forschungen entstand die Ausstellung «Rosebud Sioux – a Lakota people in transition», die er zusammen mit seiner Partnerin Eva Anderson, einer anerkannten Sachverständigen für Kunst und Handwerk, konzipierte. Die Ausstellung, die bereits in Museen in Schweden, Dänemark und Finnland zu sehen war, wurde von ihnen für die Präsentation in Deutschland und der Schweiz überarbeitet und durch neue Forschungsergebnisse zur Geschichte und Kultur der Rosebud-Sioux ergänzt.
Die deutsche Version der Ausstellung, die durch Exponate des Linden-Museums Stuttgart erweitert wurde, entwickelte Dr. Sonja Schierle, Kuratorin der Nordamerikasammlung im Linden-Museum, in Zusammenarbeit mit Dr. Peter R. Gerber, Kurator der Amerikasammlungen im Völkerkundemuseum der Universität Zürich.
Die Anderson-Fotografien wurden direkt von den Original-Glasplatten reproduziert. Die modernen Aufnahmen, die zwischen 1985 und 2001 entstanden, stammen von:
Bob Gough, USA
Eric Haase, USA
Claes-Håkan Jacobson, Schweden
Tony Sandin, Schweden
John Anderson: ein schwedischer Fotograf unter den Rosebud-Sioux
Vor etwas mehr als hundert Jahren lebte und arbeitete der in die USA eingewanderte Schwede John Anderson als Fotograf und Händler auf der Rosebud-Reservation. Seine Anwesenheit fiel in die Zeit des Übergangs, als sich das unabhängige und eigenbestimmte Leben der Sioux in eine eingegrenzte und reglementierte Existenz auf der Reservation veränderte. Anderson benutzte seine Kamera, um diesen Wandel zu dokumentieren.
Wer war dieser Schwede? Seine Lebensgeschichte könnte Stoff für einen Abenteuerroman liefern: Er wurde am 25. März 1869 im Südwesten Schwedens geboren und wanderte als kleines Kind mit seinen Eltern und Geschwistern in die USA aus. Nach einigen Pionierjahren in Pennsylvania ging die Familie nach Nebraska und erwarb dort ein Grundstück nahe der Grenze zu South Dakota und der Rosebud-Reservation. In den frühen 1880-er Jahren traf John Anderson zum ersten Mal Angehörige der Lakota. Sein Interesse an Fotografie ging auf die Bekanntschaft mit einem Armee-Fotografen zurück. So stammen seine ersten Fotos vom Fort Niobrara, einem Armeeposten im Norden Nebraskas.
Der Durchbruch als Berufsfotograf gelang ihm im Frühjahr 1889, als General Crook ihm anbot, als offizieller Fotograf die Ratsversammlungen mit den Sioux auf der Rosebud-Reservation zu dokumentieren. Durch diese Begegnungen entwickelte sich eine lebenslange Freundschaft von John Anderson mit den Rosebud-Sioux.
Bald danach zog er auf die Reservation und arbeitete als Händler in der kleinen Gemeinde Rosebud. In den folgenden Jahren war er vor allem als Porträt-Fotograf in seinem eigenen Studio tätig. Zugleich machte er aber auch Aufnahmen im Freien und hielt dortige Aktivitäten fest. 1896 veröffentlichte er eine Auswahl seiner Fotografien in dem Buch «Among the Sioux» (Unter den Sioux).
Das fotografische Erbe von John Anderson
John Anderson war sich sehr wohl der Tatsache bewusst, dass die traditionelle Lakota-Kultur im Niedergang begriffen war. Daher fotografierte er Alltagsaktivitäten, etwa Zeremonien, die Ausgabe von Fleischrationen und Porträts von Stammesmitgliedern.
Seine Studio-Porträts von Hollow Horn Bear, High Horse, Fool Bull und He Dog zeigen u.a. herausragende und einzigartige Bilder von Persönlichkeiten, die in früheren Jahren alles daran setzten, die Unabhängigkeit ihrer Stammesverbände zu sichern. In seinem Studio posierten sie in traditioneller Kleidung mit kulturellen Symbolen der Plains-Indianer.
Die meisten der vorhandenen Fotografien wurden zwischen 1895 und 1905 mit einer Primo-Kamera der Rochester Optical Company, einer Vorläuferin von Kodak, aufgenommen. Zu seiner Ausrüstung gehörten zudem eine stereoskopische und später eine Graflex-Kamera.
1928 brannte sein Studio nieder, nur ein Teil seiner Fotosammlung konnte gerettet werden. Es ist nicht bekannt, wie viele der Glasplatten verloren gingen. Die Bildwerke, die überlebt haben, sind heute einzigartige Dokumente einer wichtigen Übergangszeit in der Geschichte der Rosebud-Sioux.
Nachdem er fast vierzig Jahre seines Lebens in Rosebud verbracht hatte, beschlossen er und seine Frau Myrtle, ihren Ruhestand in Rapid City zu verbringen. Dort eröffnete John Anderson ein kleines Museum, wo er seine Sammlung indianischer Gegenstände aus Rosebud ausstellte. Im Jahr 1938 verkaufte er diese Sammlung dem Amt für Indianische Angelegenheiten. Seine Original-Glasplatten befinden sich heute in der Nebraska State Historical Society in Lincoln. Das Ehepaar zog daraufhin nach Kalifornien, wo John Anderson 1948 starb.
Rosebud-Sioux
Lebensbilder einer Reservation
Idee und Grundkonzeption:
Claes-Håkan Jacobson, Eva Anderson, Stockholm
Thementexte:
Claes-Håkan Jacobson, Stockholm
Textübersetzung, Foto- und Objektlegenden:
Sonja Schierle, Jutta Steffen-Schrade
Linden-Museum Stuttgart
Objektleihgaben:
Claes-Håkan Jacobson, Stockholm
Linden-Museum, Stuttgart
Organisation und Konzeption der Ausstellung in Zürich:
Peter R. Gerber
Text-Überarbeitung und Redaktion:
Peter R. Gerber
Elisabeth Biasio
Text-Gestaltung:
Andreas Brodbeck, Ausstellungsdienst der Universitätsmuseen
Peter R. Gerber
Gestaltung und Aufbau:
Ausstellungsdienst der Universitätsmuseen:
Andreas Brodbeck
Martin Kämpf
Frank Lenz
Kathrin Kocher
Ina Gesine von Woyski Niedermann
Urs Wohlgemuth
Weitere Mitarbeit:
Grazia Cantele
Kymo Ghung
Tina Grässli
Gitta Hassler
Andreas Isler
Kathrin Leuenberger
Lisa Rössler
Gertrude Sigg