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Wer in die Tropen reist, begegnet ihnen überall: einfach gekleideten Männern, die mit einem Gefäss am Gürtel eine Palme erklettern, um Palmsaft zu zapfen. Aus solchem Saft wird ein in den Tropen beliebtes Frischgetränk gegoren: Palmwein.
Die Techniken der Herstellung von Palmwein variieren von Palmart zu Palmart, von Ort zu Ort, eine Vielfalt, die noch kaum erforscht ist. Welcher Könnerschaft bedarf eigentlich ein Palmsaftzapfer? Welche Bedingungen diktiert ihm die Palme und welche Strategien stehen ihm zur Verfügung, um an ihren Saft zu gelangen? Die Artefakte der Palmsaftzapfer, die in einer ethnographischen Sammlung heute verwahrt werden, lesen sich wie Mosaikstücke von Wissenskulturen um eine besondere Nutzung von Palmen.
«So wie eine Milchkuh nicht ungemolken bleiben kann, wird die Palme aufhören, Saft zu geben, falls sie ungezapft bleibt», schrieb 1969 der Asienwissenschaftler Robert Hardgrave. Im Tropengürtel Südamerikas, Afrikas, Süd- und Südost-Asiens schätzt man den frischen Geschmack des Palmweins. Das Anzapfen der Palmen in ihren Wipfeln ist eine gefährliche und anspruchsvolle Arbeit; die Techniken, die Arbeitsgeräte und auch der Status der Zapfer unterscheiden sich von Ort zu Ort. Während Palmsaftzapfer in Indien einen geringen Status haben, ist das Zapfen der Palmen in vielen Regionen Afrikas an die Ehre des Mannes gebunden.
Palmweinkulturen sind an ihren ganz eigenen Trinkgefässen, an Trinksitten und an ihren Klassifizierungen von Geschmacksnoten erkennbar. Und während Palmwein in Nordindien ein Getränk für Arme und für ein paar Rupien am Strassenrand zu haben ist, verbindet Palmwein in afrikanischen Königtümern, aus prächtig geschnitzten Statusbechern genossen, Menschen und Ahnen.
In vielen Regionen der Tropen wird ein besonderer Bezug zur Palme gepflegt. Mündliche Überlieferungen in Südost-Asien erzählen, wie die Palme einst aus einem Menschenopfer entstanden sei. Weibliche Palmengottheiten trösten, weinen, geben ‹Milch›. Allerlei Riten dienen dem Schutz von Mensch und Baum – und vielleicht gar dazu, der Palme mehr Saft zu entlocken.
Fotos: Kathrin Leuenberger © Völkerkundemuseum der Universität Zürich